Predigt von Erzbischof Paolo Giulietti an der heiligen Messe, anlaesslich des 60. Todestages von Maria Valtorta

Das Folgende ist die vom Autor – nicht ueberarbeitete und nihct korrigierte – Transkription der Predigt, die der Erzbischof von Lucca am 12. Oktober 2021 in der Kirche der Pfarre Sant’Andrea Apostolo in Viareggio gehalten hat.

Wir haben die Worte des Paulus gehoert, der sagt “Ich schaeme mich nicht des Evangeliums”. Er Weiss, dass die Verkuendigung des Evangeliums von der Gnade Gottes, die sich im Herrn Jesus in seinem irdischen Leben offenbart hat, das ist was am meisten ueber das apostolische Amt und das christliche Leben zaehlt: die Erkenntnis Jesus, die Annahme seiner Person, das Leben mit Ihm und fuer Ihn. Deshalb schaemt sich der heilige Paulus nicht des Evangeliums.

Aber dann spricht er, in der Fortsetzung des Abschnitts aus dem Brief an die Roemer, auch von einer anderen Moeglichkeit Gott zu erkennen, der allen Voelkern angeboten wurde. Das heisst, die Moeglichkeit etwas von Gott durch die Schoepfung zu erahnen. Es ist das, wovon auch der Psalm, den wir verkuendet haben, spricht und es ist keine Botschaft, deren Worte gehoert werden, aber sie erreicht jeden. Die Schoepfung, die die Groesse, die Schoenheit und die Weisheit des Schopfers bezeugt, verbreitet sich nicht mit Worten, sie ist keine Verkuendigung aus Worten, aber sie erreicht jeden wie die Sonne, so wie etwas das nicht abgesogen kann.

So scheint es mir, dass diese beiden Ueberlegungen, diese beiden Dimensionen der Erkenntnis Gottes, der Verkuendigung des Evangeliums in der Person des Herrn Jesus, aber auch die Moeglichkeiten, die der Herr allen Maennern und Frauen bietet, ihn zu kennen, uns dazu bringen genau ueber die Umstaende nachzudenken, die uns heute Abend zusammenbringen, das heisst ueber die Person von Maria Valtorta,  fuer die wir in den 60. Jahren ihres Todes beten.

In ihren Visionen erklaert sie, die Luecke des Evangeliums zu integrieren. Denn das Evangelium, die Evangelien, die Erzaehlung des Herrn, die von den Aposteln gemacht wurde und von den ersten christlichen Gemeinschaften aufgezeichnet wurde, sagt uns zweifellos nicht alles. Johannes sagt (Joh 21, 25) dass nicht alles geschrieben wuerde. Es wuerde geschrieben, was noetig war, damit ihr glaubt und dann fuegt er hinzu: wenn alles, was Jesus getan hat, geschrieben worden waere, haetten alle Buecher der Welt nicht ausgereicht, um seine Taten einzudaemmen.

Die christliche Froemmigkeit hat dann im Laufe der Zeit, in vielen verschiedenen Formen, in die Logik der Liebe, in die Logik des Beduerfniss, das die Liebe vor sich hat, Bildern und Erzaehkungen integriert, etwas, das das, was angekuendigt wird, sich nahe anfuehlen laesst. Sie hat die Woerte des Evangeliums mit den Sprachen der Mystik, aber auch der Kunst, der Musik und der Literatur integriert. Alle Sprachen, in denen wir eine Inspiration von Gott erkennen. Wie oft sagen wir, dass dieser Maler inspiriert ist, denn wirklich diese Sprachen aus dem Wirken des Geistes der Menschheit geboren sind, fuehren zu einer Lesung, die Werkzeuge anbietet, um tiefer in die Evangelien einzudringen, sie naeher zu fuehlen, mehr unsere, vielleicht besser geeignet fuer die Sensibilitaet jener Zeit. Denn kennen diese Sprachen auch unterschiedliche Formulierungen nach dem Zeitgeist. Wie viele Ausdrucksformen hat die christliche Mystik, die Malerei, die Kunst, die Musik im Laufe der Jahrhundert erfunden, sie hat sich gegeben, vom wirklich wirksamen Wirken des Geistes angenommen, damit das Evangelium das Herz noch mehr beruehre, als das inspirirte Wort zu tun vermag; einem menschlichen Beduerfnis gerecht zu werden, ein Beduerfnis unserer Natur, demjenigen ein Gesicht zu geben, den das Evangelium nicht darstellt. Aber wir, wie viele Gesichter des Herrn Jesus gesehen haben, von den groessten Kuenstler repraesentiert. Sie alle unterscheiden sich , auch sehr, voneinander, doch diese Gesichter haben dem Evangelium naeher gebracht. Diese Darstellungen, die nicht evangelisch sind, sondern manchmal aus tiefen Inneren Inspiration entstehen, haben uns dem Evangelium naeher gebracht und es zweifellos integriert, den das Evangelium uns wenig ueber das Antlitz Jesus und seine Augen sagt, wie er seine Haare trug, wie gross er war.

Aber wir Menschen brauchen, wenn wir ueber einen geliebten Menschen sprechen, ihn darzustellen. Hier kommmt die Kunst ins Spiel, aber auch seine Worte, der Ton seiner Stimme, die heiligen Darstellungen, aber auch die Umgebung, in der er lebte. Wenn Maler den Herrn darstellen mussten, stellten sie sich Dinge vor, die das Evangelium nicht sagt, weil sie dem Wort des Evangeliums einen Umriss geben mussten, der den Menschen ihrer Zeit helfen wuerde, diese Gegenwart naeher, aktueller, herausfordernder zu spueren, weil sie mit jener Menschlichkeit bekleidet war, die wir brauchen und die der Herr selbst fuer sich selbst wollte.

Wir stellen Jesus dar, weil Jesus Gott ist, der im Fleisch erschienen ist, der sich im Fleisch manifestiert hat, das heisst in der Geschichte, in der Kultur, in der Sprache, aber auch im Gesicht, in der Eigenschaft, in dem Wort, das uns entgeht, das aber jemand gesehen hat. Johannes sagt (1 Joh 1,1):was unsere Augen gesehen haben, was unsere Haende beruehrt haben, was unsere Ohren gehoert haben, verkuenden wir euch.Dies ist nach wie vor ein Beduerfnis.

Gewiss werden die christliche Froemmigkeit und der Glaubensweg des Christen, durch das lebendige Wort des Evangeliums und durch die Neudarstellung des Heils in den Sakramenten genaehrt, aber sie wird auch von der Kultur genaehrt, sie wird auch von dem genaehrt, was der Geist des pulsierenden Lebens des Volkes Gottes den verschiedenen Gestalten schenkt, um diese grundlegende Wirklichkeit des christlichen Lebens zu bereichen. Die Mystik hat unter diesem Gesichtspunkt oft eine Bereicherung geboten. Sie sind private Offenbarungen, wissen Sie, die fuer den Glauben nicht bindend sind, aber sie koennen Gutes tun, sie haben Gutes getan, In der Geschichte haben wir mehrere dieser Werke erlebt, die in gewisser Weise mit einer lebendigen Lebendigkeit, die der Zeit entspricht, dem Antlitz des Herrn Jesus, seinem Wort, das die Menschen sich nahe fuehlen muessen, neu praesentiert wurden.

Dann muessen wir dankbar fuer diese Vitalitaet sein, ja, wir muessen dankbar fuer diese Vitalitate sein.

Es ist das Wirken des Geistes, der im Volk Gottes spricht und wirkt fuer ein immer groesseres Verstaendnis des offenbarten Geheimnisses sowie fuer eine immer neue Faehigkeit, e sim Leben zu verkoerpern, es in der Liebe zu leben, wie wire s im Evangelium gehoert haben. Christliche Generationen schreiben das Evangelium jedes Mal um. Es gibt in dem schoenen Roman von Mario Pomilio, “ das fuenfte Evangelium“, die Suche nach diesem schwer fassbaren Buch, die letztendlich zu dem Bewusstsein fuehrt, dass jede christliche Generation das Evangelium umschreibt, nicht weil es die vier Evangelien veraendert, sondern weil es sie in gewisser Weise ueberdenkt, sie neu aktualisiert, sie in ihrere Kultur wieder ausdruckt. Das ist nicht nur das Wirken des Menschen, sondern es ist das Wirken des Geistes, den es ist der Geist, der zu einem immer tieferen und aktuelleren Verstaendnis jenes Evangeliums fuehrt, fuer das Paulus sich nicht schaemt und fuer das wir auch nicht schaemen.

Wir schaemen uns auch nicht fuer alle Manifestationen des Geistes, die in irgendeiner Weise zu einem immer tieferen und immer zeitgemaesseren Verstaendnis des Geheimnisses Christi fuehren. Natuerlich hat jede Generation ihre eigene Art, in dieses Mysterium einzutreten. Jede christliche Generation braucht, feur die Sensibilitaet der Zeit, in der sie lebt, fuer die geistliche Beduerfnisse, die sie hat, fuer die Herausforderungen, vor denen sie steht, dass der Geist sie auf originellen Weise das Geheimnis Christi, das gestern, heute und fuer immer dasselbe ist, zum Verstehen fuehrt.

Also liebe Brueder und Schwestern, in dieser Eucharistiefeier, in der wir Maria Valtorta gedenken, bringen wir unsere Dankbarkeit zum Ausdruck fuer dieses und fuer andere Zeichen und Manifestationen, die der Heilige Geist einigen Kindern der Kirche gegeben hat und die gefuerht haben, wie so oft geschehen ist, den einzigen Herr, der gesprochen hat und das einzige Evangelium, wovon keiner sich schaemen sollte, tiefer zu verstehen und intensiver zu lieben.